Unter dem Titel „Das Schweigen der Lämmer?“ schickt uns unser Mitglied Dr. Johann Hinteregger nachfolgenden Kommentar zur Problematik der §29b-Parkausweise
Geraume Zeit ist seit der letzten Nachricht zur Frage der Rollstuhlparkplätze (§ 29b der StVO) verstrichen, ohne dass über irgendwelche Fortschritte zur Verbesserung der Situation der Rollstuhlfahrer berichtet werden kann.
Wir erinnern uns: im Dezemberheft 2014 (RA Nr. 203, Seite 13 ff.) wurde über einen Beschluss eines Arbeitskreises unter Leitung von Mag. Wolfgang Glaser berichtet. Zusammen mit Vertretern des ÖZIV kam diese Gruppe überein, dass zur Verbesserung der Parkplatzsituation die Schaffung zweier Kategorien von begünstigten Behinderten ein praktikabler Lösungsansatz wäre, wobei Rollstuhlfahrer und jene mobilitätseingeschränkten Behinderten, die wegen ihrer Mobilitätshilfen den extra breiten Parkplatz zum Aus- und Einsteigen benötigen durch eine Vignette auf dem Parkausweis zur Nutzung dieser Plätze berechtigt sein würden, während die anderen Behindertengruppen (chronisch kranke Geher etc.) mit einer andersfärbigen Vignette auf ihrem Parkausweis zur Nutzung aller anderen mit dem Ausweis verknüpften Begünstigungen berechtigt bleiben sollten. Damit wäre zu sichern, dass die nur in begrenzter und nicht beliebig vermehrbarer Zahl vorhandenen extra breiten Behindertenparkplätze jenen Nutzern vorbehalten bleiben, die bei Besetzung dieser Plätze durch Geher ganz wesentlich in ihrer Fähigkeit zum selbstbestimmten Dasein beschränkt werden. Ein im wesentlichen den Ergebnissen des Arbeitskreises entsprechendes Positionspapier zu dieser Thematik wurde Ende Februar 2015 auch auf BMIN (http://www.bmin.info/N-Archiv/BMIN.achrichten/Nachrichten/Eintrage/2015/2/23_Positionspapier_zur_Frage_des_Parkausweises_gem._29b_der_StVO.html) veröffentlicht und an ÖZIV, ÖAR und VQÖ übermittelt.
Aus Daten des Sozialministeriumservice geht hervor, dass mit Stand 18. August 2015 seit Inkrafttreten der §29b-Novellierung insgesamt 43.263 Parkausweise neu ausgestellt wurden (Quelle: www.sozialministeriumservice.at/park-mail-brz-basb/29bAusweis.xls). Bis zum 26. August 2015 stieg diese Zahl auf 43.629 Ausweise, also ein Plus von 366 Stück in nur 8 Tagen! Vom 20. Juli 2015 (42.073 Ausweise) bis zum 26. August betrug die Ausweisvermehrung 1.556 Stück! Es ist also eine rasante Zunahme an neu vergebenen Parkausweisen festzustellen. Demgegenüber wurden nach telefonischer Auskunft der Staatsdruckerei von 2001 bis Ende 2013 insgesamt nicht ganz 130.000 Parkausweise ausgestellt. Das heißt, in rund 20 Monaten wurde bereits rund ein Drittel der gesamten Ausweiszahl der vorgängigen 12 Jahre erreicht! Dass sich die Behindertenparkplätze nicht adäquat vermehrten, wird uns klar, wenn wir zusehen müssen, wie Inhaber von Parkausweisen sich (völlig legal) auf die Rollstuhlparkplätze stellen, und dann als Geher von ihren Autos weg spazieren, während die Rollifahrer im schlimmsten Fall unverrichteter Dinge wieder nach Haus zurückkehren müssen. Diese Situation stellt eine mittelbare Diskriminierung jener Gruppe dar, die auf die extra breiten Parkplätze angewiesen ist, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Bringt man dieses Thema gegenüber dem Ministerium zur Sprache, so wird darauf verwiesen, dass ja seinerzeit die ÖAR als Interessenvertretung der österreichischen Behinderten der Novellierung zugestimmt habe. Diese ÖAR ist ein Verband von insgesamt mehr als 70 Mitgliedsvereinen , davon sind allerdings tatsächliche Behindertenvereine in der Minderzahl, während die Mehrzahl als Dienstleistungsvereine oder -gesellschaften fungiert bzw. – wie die AUVA – mit der Rehabilitation von Behinderten zu tun haben. Die Behindertenvereine repräsentieren ein breites Spektrum aller möglichen Behinderungsarten, wobei der ÖZIV sowohl als Bundesverband wie auch mit 6 Landesverbänden in der ÖAR repräsentiert ist.
Die Problematik der ÖAR liegt daher darin, dass sie als „Interessenvertretung“ der österreichischen Behinderten versuchen muss, die verschiedenen Bedürfnisse der einzelnen Behindertengruppen unter einen Hut zu bringen. Das mag in etlichen Fällen durchaus vereinbar sein (z.B. das bisher vergebliche Streben nach Valorisierung des Pflegegelds oder nach einer Erhöhung der Ausgleichszulage für Betriebe, die keine Behinderten beschäftigen), ist aber gerade im Fall der Behindertenparkplätze offensichtlich nicht möglich, da sich Mitgliedsvereine, die z.B. chronisch Kranke vertreten, natürlich gegen eine Änderung der nun für diese äußerst günstigen Parkregelungen stemmen und dafür alle möglichen Argumente ins Spiel bringen. Daraus folgt offenbar, dass, obwohl der VQÖ mit Herbert Pichler einen der Vizepräsidenten des ÖAR-Vorstands stellt, kein Beschluss für eine vernünftige und bedarfsorientierte Neuregelung des Parkberechtigungsproblems durch die ÖAR zustande kommt, und schon bei der seinerzeitigen Begutachtung der Novelle die berechtigten Einwände des VQÖ von der ÖAR nicht vertreten wurden.
In einer ÖAR-Stellungnahme im Begutachtungsverfahren zur heurigen 27. Novelle der StVO , wird die Parkplatzfrage mit keiner Silbe thematisiert, es scheint also, dass man mit Fug und Recht annehmen kann, dass die ÖAR dieser Frage nicht die Bedeutung beimisst, die sie für jene Behinderten hat, die auf den extra breiten Parkplatz angewiesen sind! Es gibt auch keinerlei Information, ob die ÖAR inzwischen ihre Position in dieser Frage überdacht hat und bereit wäre, für die erforderliche bedarfsorientierte Lösung der Parkplatzfrage gegenüber der Politik einzutreten – die Betroffenen werden einfach im Unklaren über die Position der „Interessenvertretung österreichischer Behinderter“ gelassen und das Ministerium sieht unter Hinweis auf die seinerzeitige Zustimmung der ÖAR zu dieser Diskriminierung der Rollstuhlfahrer offenbar keinen Anlass, das heiße Eisen anzupacken. Um dem ganzen noch einen Gipfel aufzusetzen, veröffentlicht die ÖAR in ihrem Infoletter vom 6. August 2015 den (nach unseren Erfahrungen frucht- und hilflosen) Appell: „Wir ersuchen um besondere Rücksichtnahme hinsichtlich der Benützung der extra-breiten Behinderten-Parkplätze: Diese sind insbesondere für Personen, die auf die Benützung eines Rollstuhles angewiesen sind, vorgesehen.“
Welches Fazit ist daraus zu ziehen? Für mich stellt sich das Problem so dar, dass aufgrund der Interessenskonflikte im Dachverband ÖAR eine baldige und in unserem Interesse liegende faire Lösung der Parkplatzproblematik nicht zu erwarten ist. Wir können nun darauf hoffen, dass die ÖAR sich irgendwann unseres Anliegens doch noch annimmt, oder wir können uns als VQÖ direkt an die Politik wenden und für unsere Anliegen selbst und ohne Vermittler eintreten – immerhin sind auch wir nach unseren Statuten eine Interessenvertretung der Querschnittsgelähmten Österreichs und müssen von der Politik gehört werden. Ob wir künftig weiterhin das Schweigen der Lämmer pflegen, oder den direkten Zugang zu den Ministerien und den Parlamentariern suchen, sollte ein Diskussionsthema bei unserer Generalversammlung im Oktober in Linz sein und in einen zielführenden Beschluss münden.