Arbeitsstress und Lebensqualität

Arbeitsstress und Lebensqualität – Der Effekt von belastenden Arbeitsbedingungen bei querschnittgelähmten Personen

(mit freundlicher Genehmigung von Dr. Teresa Brinkel, Schweizer Paraplegiker-Forschung)

Hintergrund

Viele Studien belegen, dass stress-generierende Arbeitsbedingungen zu einer Verminderung der Lebensqualität und der Gesundheit beitragen können. Zudem ist wissenschaftlich erwiesen, dass Stress die Lebensqualität insbesondere bei sozial und finanziell schlechter gestellten Personen herabsetzt. So haben zum Beispiel Menschen mit einer einfachen Bildung und einem niedrigen Einkommen ein höheres Risiko an Depressionen zu erkranken und einen Schlaganfall zu erleiden als besser gestellte Personen. Sozioökonomische Faktoren, wie die formale Ausbildung, der Beruf oder das Einkommen spielen demzufolge bei den individuellen Auswirkungen von Stress eine wichtige Rolle. Während gesicherte Erkenntnisse für die allgemeine Bevölkerung vorliegen, fehlen vergleichbare Studien bei Menschen mit Behinderungen weitgehend.

[Kristenson M., (2006). Socio-economic position and health: the role of coping. J. Siegrist & M. Marmot (Eds.). Social inequalities in health. pp. 127-151. Oxford: Oxford University Press.
Tsutsumi, A., Kayaba, K., & Ishikawa, S. (2011). Impact of occupational sress on stroke across occupational classes and genders. Soc Sci Med, 72(10), pp. 1652-1658.]

Fragestellung

Deshalb hat eine Forschergruppe nun entsprechende Daten aus der SwiSCI Umfrage zusammen mit Daten aus einem internationalen Forschungsprojekt zur Arbeitsmarktintegration querschnittgelähmter Menschen analysiert .

Die Studie greift zwei Fragestellungen auf: 1.) Gibt es einen Zusammenhang zwischen beruflich bedingtem Stress und Lebensqualität bei Personen mit Querschnittlähmung? und 2.) Ist der Einfluss von stress-generierender Arbeit auf die Lebensqualität in sozial benachteiligten Gruppen stärker ausgeprägt als in privilegierteren Gruppen?

Wissenschaftliches Vorgehen

Um diese Fragen zu beantworten, werteten Wissenschaftler Daten von 386 querschnittgelähmten erwerbstätigen Personen aus der Schweiz, den Niederlanden, Norwegen und Dänemark aus. Diese Personen arbeiteten zum Zeitpunkt der Studie mindestens 18 Stunden pro Woche.

Variable Total alle Länder Niederlande Schweiz Dänemark Norwegen
Soziodemographische Faktoren
Alter im Durchschnitt 47.8 47.6 46.9 50.0 48.0
Männlich % 74.6 76.9 81.7 65.9 67.6
Arbeitsstunden / Woche 29.5 29.9 29.4 30.4 28.9
Lähmung
Paraplegie % 74.0 71.3 78.7 71.4 73.3
Jahre seit Qsl 19.9 19.8 18.1 19.6 22.0

 

Die Wissenschaftler unterteilten die Begriffe „Arbeitsstress“, „Lebensqualität“ und „sozioökonomischer Status “ in Faktoren, die sich anhand der erhobenen Daten messen lassen.

So wurde Arbeitsstress anhand des Ungleichgewichtes zwischen Einsatz (z.B. geleistete Arbeit, erlebter Zeitdruck, hohe Anforderungen) und Belohnung (z.B. Wertschätzung, angemessene Bezahlung) gemessen. Ein Missverhältnis zwischen diesen Faktoren kann zu Stressreaktionen im Erwerbsleben führen. Die Teilnehmenden wurden auch gefragt, inwieweit sie als Arbeitnehmende Einfluss auf arbeitsbezogene Prozesse haben, denn es ist bekannt, dass geringe Kontrolle am Arbeitsplatz ebenfalls zum Arbeitsstressempfinden beiträgt.

Um die Lebensqualität der Befragten abzuschätzen, wurde gefragt, wie diese ihre allgemeine Lebensqualität einschätzen und wie zufrieden sie mit ihrer Gesundheit, ihren sozialen Beziehungen, der Ausführung von alltäglichen Aktivitäten und ihrer Wohnsituation seien. Der sozioökonomische Status wurde mittels Schulbildung und finanzieller Situation abgebildet.

Ergebnisse

Die Auswertungen zeigen, dass die Lebensqualität von Arbeitnehmenden mit Querschnittlähmung variiert, und zwar in Abhängigkeit vom Ausmaß der Stressbelastung am Arbeitsplatz. Personen, die ein Ungleichgewicht zwischen ihrer Arbeitsleistung und ihrer Vergütung erfahren, haben ein erhöhtes Risiko für eine niedrigere Lebensqualität.

Sie sind zudem weniger zufrieden mit ihrer Gesundheit, mit sozialen Beziehungen, mit alltäglichen Aktivitäten und ihrer Wohnsituation.

Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Arbeitsstress

Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Arbeitsstress und Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit

Ähnliche Zusammenhänge konnten die Forscher auch bei Personen feststellen, die wenig Einfluss auf die Arbeitsorganisation, das Arbeitstempo oder arbeitsbezogene Entscheidungen haben. Diese Personen berichteten allgemein von einer niedrigeren Lebensqualität als Personen mit mehr Einflussmöglichkeiten.

Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Jobkontrolle

Abbildung 4: Zusammenhang Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit und Jobkontrolle

 

Was diese Untersuchung jedoch nicht bestätigt, ist eine Verringerung der Lebensqualität durch stresserzeugende Arbeit besonders in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen. Demzufolge zeigen die Daten nicht, dass rückenmarksverletzte Personen mit einer einfachen Ausbildung und finanziellen Problemen mehr an den Folgen belastender Arbeitsbedingungen leiden als besser gestellte Personen.

Ein Grund für das Fehlen dieser Zusammenhänge könnte darin liegen, dass diese Untersuchung in Ländern durchgeführt wurde, die über ein gut ausgebautes Sozial- und Gesundheitssystem verfügen. Es kann angenommen werden, dass die günstigen sozialen Rahmenbedingungen in diesen Ländern, wie zum Beispiel Sozialversicherungen, Massnahmen des Arbeitsschutzes oder finanzielle Unterstützungen die negativen Effekte von Arbeitsstress auf die Lebensqualität bei benachteiligten Gruppen abfedern.

Interessant wäre es demzufolge, eine vergleichbare Studie in Ländern mit weniger gut ausgebautem Sozialsystem durchzuführen. Zudem spielen bei Personen mit Rückenmarksverletzungen die soziale Unterstützung durch Angehörige, Freunde und Versorgungsdienstleister eine besonders wichtige Rolle für eine hohe Lebensqualität und Gesundheit. Es wird angenommen, dass soziale Unterstützung die negativen Auswirkungen von Arbeitsstress ebenfalls mindern kann.

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die chronische Arbeitsstressbelastung kann langfristig zu einer schlechteren subjektiven Lebensqualität und geringeren Zufriedenheit in verschiedenen Lebensbereichen führen. Die Effekte von Arbeitsstress auf Lebensqualität scheinen jedoch nicht von der Bildung oder der finanziellen Situation der Arbeitnehmenden abzuhängen.

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