Ein Überraschungsmoment für potenzielle Angreifer: Effiziente Selbstverteidigung trotz Rollstuhl!
(Annemarie Grillenberger)
Es war der berühmte Zufall, der mich nach vielen Jahren wieder in einen Selbstverteidigungskurs kommen ließ: Eine Bekannte, die mir etwas Gutes tun und mich wohl vor ausufernder Langeweile retten wollte, empfahl mir den Selbstverteidigungskurs für RollstuhlfahrerInnen im S.C. Hakoah in der Wehlistraße im 2. Wiener Gemeindebezirk. Ganz spontan meldete ich mich zunächst für ein Schnuppertraining an (mein letzter Kurs ist mir nicht in allzu guter Erinnerung geblieben und ich dachte mir, nach dem Schnuppern kann ich noch immer „Nein“ sagen). Zu diesem Nein kam es allerdings nicht, denn schon nach einer halben Stunde war mir klar, hier bleibe ich! Während der nächsten zehn Trainingseinheiten versuchte ich dann, auf logischer Basis zu ergründen, was damals nur ein Bauchgefühl gewesen war.
Für die meisten GeherInnen ein eher profaner Grund, für uns Rollis aber essentiell: Man bekommt bei der Anmeldung zum Kurs ein Armband mit einem Chip, der den Schranken und das Tor zum großen Parkplatz des Sportcenters öffnet. Ein Stellplatz für das Auto ist also gesichert.
Beim Haupteingang gibt es lediglich ein 2 cm hohes „Stuferl“ zu überwinden (die Türe geht ein bisschen schwer auf, aber das kann man ja schon mal als Aufwärmen für das Training betrachten).
Der Umgangston der Belegschaft an der Rezeption ist so schön „normal“, niemals hat man das Gefühl, dass RollifahrerInnen hier eigentlich nicht wirklich am richtigen Ort sind (was mir in Sportcentern schon passiert ist).
Und nun zu unseren Trainern: Freundschaftliche Begrüßung, kurzer Lebenslauf und kurze Einführung in den Selbstverteidigungs“sport“ und schon geht`s los. Zuerst aufwärmen, dann Übungen, dass alle Gelenke knacken (erst später wird mir klar, dass dies schon Abwehrgriffe sind, die durch das Üben ohne Partner in Fleisch und Blut übergehen sollen) und dann wird es ernst: Wir sollen nach mehreren Demonstrationen von Erich und Gerald eine bestimmte Abwehrtechnik an einem von ihnen anwenden. Aber ganz so einfach ist das nicht. Da ist die (nicht unbegründete) Angst, dem anderen weh zu tun und immer wieder hören wir: Schlag doch zu! Trau dich! Aber sorry, wie kann ich zuschlagen, wenn mir der Andere doch gar nichts getan hat? Laut unseren Trainern hat am Anfang jeder diese Hemmschwelle, erst mit der Zeit wagt man es dann doch, den Arm des Partners einmal ein bisschen fester zu verdrehen, ihm in den Bauch zu boxen oder ihn an den Haaren zu ziehen.
Stichwort Haare: Was mir bei diesen Unterweisungen durch Erich und Gerald besonders entgegenkommt ist, dass die beiden uns immer wieder dazu ermuntern, bei der Verteidigung nicht nur bestimmte Griffe, sondern auch das einzusetzen, was Mutter Natur uns mitgegeben hat, unsere Zähne und unsere Fingernägel. Wir dürfen also beißen und kratzen, wenn jemand uns Böses will! Welche Frau lässt sich das zweimal sagen?
Am Ende der Trainingseinheit wird noch gedehnt, manchmal wird man auch gedehnt, was ein ausgesprochen wohliges Gefühl hinterlässt.
Und dann freuen wir uns alle auf das nächste Mal!
Erich möchte sich nun kurz bei unseren Leserinnen und Lesern vorstellen.
Mein Name ist Erich Baron und ich sitze seit einem schweren Motorradunfall im Jahre 2011 im Rollstuhl.
Schon vor meinen Unfall betrieben mein Bruder Gerald und ich seit 1993 verschiedene Budo-Sportarten. In unserer langjährigen Laufbahn nahmen wir an unzähligen Lehrgängen teil, wir sind Mitglieder bei SHOBUKAI AUSTRIA sowie IAWO AUSTRIA und unterrichten seit dem Jahr 2000 in einer Schule im 20. Wiener Gemeindebezirk Nippon Jujitsu für Erwachsene und Kinder.
Ich wollte auch nach meinem Unfall die Selbstverteidigung nicht ganz aufgeben, deshalb stellten Gerald und ich am Tag der offenen Tür im Sportzentrum Hakoah Selbstverteidigung für Rollstuhlfahrer vor. Aufgrund der Nachfrage wurde danach ein „Selbstverteidigungskurs für Rollstuhlfahrer“ ins Leben gerufen.
Seit Mai 2013 führen wir nun einmal wöchentlich diesen Kurs durch. Unser Ziel ist es, unser Wissen und unsere Techniken weiterzugeben und dadurch Menschen im Rollstuhl mehr Selbstvertrauen zu vermitteln. Voraussetzung für diesen Kurs ist jedoch, dass man über einen aktiven Oberkörper verfügt, um einen gewissen Bereich des Körpers durch Abwehrtechniken abdecken zu können.
Es macht uns sehr viel Spaß, mit den Kursteilnehmern zu arbeiten, wenn man sieht, wie jeder Einzelne mit vollem Einsatz bei der Sache ist. Begeistert sind wir auch von den stetigen Fortschritten unserer Schützlinge.
Wer Lust bekommen hat, sich an der „Selbstverteidigung im Rollstuhl“ zu versuchen: Am 02.12.2016 startet ein neuer Kurs (ein Einstieg ist aber jederzeit möglich!)
Anmeldungen bitte an:
office@hakoah.at oder Infohotline 01 726 46 98 – 0 (täglich Mo – So 09:00 – 21:00 Uhr)
1020 Wien, Simon-Wiesenthal-Gasse 3 (Eingang: Wehlistr. 326)
Nähere Infos gibt es hier: