Schlaf und Querschnittlähmung

Entnommen aus Paracontact 1/2016)
(Von Dr. med. Hans Georg Koch, Angewandter Wissenstransfer)

Eigentlich denkt man, dass diese beiden Begriffe nichts miteinander zu tun haben. Bei näherer Betrachtung kommen dann aber entscheidende Zusammenhänge ans Tageslicht. Auswertungen bezüglich Gesundheitsproblemen der Rollstuhlfahrer aus der Schweizer Kohortenstudie (SwiSCI) zeigen, dass 2/3 der Befragten an verschiedensten Schlafproblemen leiden. Dies ist ein weitaus grösserer Anteil als die etwa 33 % der Normalbevölkerung, die man erwarten würde. Tetraplegiker sind davon besonders betroffen. Schlafprobleme sind breit gefächert, es gibt über 70 verschiedene Schlafstörungen, und nicht alle Formen sind auf eine Querschnittlähmung zurückzuführen.

Äussere Einflüsse

Grundsätzlich lässt sich relativ einfach verstehen, dass eine querschnittgelähmte Person geringere körperliche Aktivität ausübt und oft auch aus Gründen der Abhängigkeit von Drittpersonen länger im Bett verbringen muss. Mit eingeschränkter körperlicher Beanspruchung braucht man auch weniger Erholungszeit und damit weniger Schlaf, obwohl man z.B. von der Spitex schon früh zu Bett gebracht wird und erst spät am Morgen wieder aufstehen kann.

Häufig ist der Schlafrhythmus auch durch Massnahmen zur Dekubitusprävention oder -behandlung gestört (regelmässige Umlagerungen) oder weil man eventuell nachts mehrmals katheterisieren muss. Dies führt zu Unterbrüchen des normalen Ablaufs der Schlafphasen und zu schlechterer Schlafqualität. Die Querschnittlähmung führt aber auch durch den teilweisen Ausfall der Innervation des Körpers und durch die oft notwendige dauernde medikamentöse Behandlung zu spezifischen Schlafstörungen.

Schlafapnoe-Syndrom

Apnoe entstammt dem Griechischen und bedeutet das Aussetzen der Atmung. Bei einer Schlafapnoe kommt es während dem Schlaf zum Atemstillstand. Ein Schlafapnoe-Syndrom kommt bei Personen mit Querschnittlähmung weit häufiger vor als in der Normalbevölkerung. Etwa 60 % der Tetraplegiker leiden daran. Man unterscheidet zwischen einem zentralen (eher selten) und einem obstruktiven (häufig) Schlafapnoe-Syndrom. Zudem gibt es Mischformen der beiden Störungen.

Beim zentralen Schlafapnoe-Syndrom liegt die Ursache in der Steuerung der Atmung. Das zentrale Nervensystem (=Gehirn und Rückenmark) „vergisst“ zu atmen und es kommt zu einem Atemstillstand. Beim obstruktiven Apnoe-Syndrom kommt es zu einer Verlegung der Atemwege (=Obstruktion) durch das Gaumensegel (beim Schnarchen) oder durch die Zunge, die nach hinten fällt, wenn sich die Muskulatur des Nasenrachenraums im Schlaf entspannt.

Medikamente wie Baclofen, Benzodiazepine, Opiate und Alkohol fördern die Erschlaffung. Übergewicht, grosser Halsumfang, männliches Geschlecht und zunehmendes Alter sind Risikofaktoren für ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom. Zudem führen die anticholinergischen Medikamente zur Behandlung der Spastik zu trockenen Luftwegen, was die Atmung zusätzlich beeinträchtigt.

Bei beiden Formen der Schlafapnoe kommt es wiederholt zum Atemstillstand (bis zu 30 Mal/Std). Der Körper reagiert auf den Sauerstoffmangel mit Stress. Die Herzfrequenz und der Blutdruck steigen an, während der Sauerstoff im zirkulierenden Blut abnimmt. Schliesslich erwacht der Patient, atmet wieder normal und schläft rasch wieder ein. Wenn er sich nicht selbst umlagern kann (z.B. Seitenlage), beginnt dieser Zyklus von neuem, sobald er wieder eingeschlagen ist.

Als erste orientierende Untersuchung wird während des Schlafes die periphere Sauerstoffspannung im Blut mit einem Fingerclip (Pulsoxymeter) gemessen, aufgezeichnet und ausgewertet. Die Sauerstoffkonzentration sollte eigentlich nicht signifikant absinken, sonst muss eine Untersuchung im Schlaflabor vorgenommen werden. Dazu muss eine Nacht im Spital verbracht werden.

Melatonin

Melatonin ist das Schlafhormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert. Es wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) produziert. Licht hemmt die Produktion, während Dunkelheit die Bildung von Melatonin fördert. Die Signale zur Produktion von Melatonin laufen von Nukleus suprachiasmaticus (=innere Uhr) über das Rückenmark zum Ganglion cervicale superius, einem Nervenknoten des sympathischen Nervensystems am Hals und von dort zur Hirnanhangsdrüse. Bei einer Tetraplegie (Unterbrechung des Rückenmarks im Halsbereich) fällt also die Regelung durch die innere Uhr aus und es kommt zwangsläufig zu Schlafproblemen wegen Mangel an Melatonin. Die Schlafdauer ist verkürzt und die Zeit bis zum Eintritt der Tiefschlafphase wird verlängert. Dies zeigt sich auch daran, dass man bei Tetraplegiker keine Abbauprodukte von Melatonin mehr im Urin nachweisen kann. Das gleiche beobachtet man auch bei einem Drittel der blinden Menschen. Die Einnahme von Melatonin kann daher die Schlafqualität bei diesen Personen verbessern.

Folgen es gestörten Schlafes

Schlechter und ungenügender Schlaf äussert sich in Tagesmüdigkeit, mangelnder Konzentrationsfähigkeit und Sekundenschlaf (=Unfallgefahr). Der dauernde Stress durch den Sauerstoffmangel bei Schlafapnoe führt zu Hypertonie (Bluthochdruck) und erhöhtem Herzinfarktrisiko. Das Dekubitusrisiko steigt, wenn man im Rollstuhl einschläft.

Die mangelnde Sauerstoffkonzentration nachts führt zu ungenügender Erholung der Gewebe (z.B. Haut) und schlechter Wundheilung. Schmerzen werden verstärkt wahrgenommen, depressive Episoden häufen sich und später kommt es auch zu Gedächtnisstörungen und Demenz infolge Schädigung des Gehirns durch chronischen Sauerstoffmangel. Das Immunsystem wird beeinträchtigt und es kommt zu gehäuften Lungeninfekten.

Therapie

Diese Langzeiteffekte können durch eine kontinuierliche Aufrechterhaltung der Sauerstoffversorgung während des Schlafes vermieden werden. Schlafen in Bauchlage verhindert Schnarchen. Wenn man auf dem Rücken schläft, hilft in vielen Fällen auch eine Zahnspange, die den Unterkiefer nach vorne zieht oder eine Gaumenspange, die das Gaumensegel stabilisiert und das Schnarchen verhindert.

Die nächste Stufe der Behandlung der Schlafapnoe wäre ein CPAP-Gerät (Continous Positive Airway Pressure), das über eine Maske einen konstanten Überdruck im Nasen-Rachen-Raum erzeugt, damit die muskulären Wände aufgespannt bleiben. Ein gemischtes oder zentrales Schlafapnoe-Syndrom muss mit einem BiPAP-Gerät (Biphasic Positive Airway Pressure) behandelt werden, das den Druck zwischen Einatmung und Ausatmung wechselt und damit die Atemmuskulatur zusätzlich aktiv unterstützt. Das Gerät kann auch die „vergessenen“ Atemzüge nachliefern und eine Atempause überbrücken.

Die Patienten müssen sich bei beiden Geräten an das Tragen einer Gesichtsmaske zum Schlafen gewöhnen. Es lohnt sich, verschiedene Masken-Modelle auszuprobieren und es braucht viel Zeit und Geduld, bis alles ideal eingestellt ist. Die Lebensqualität verbessert sich aber wesentlich.

Was kann man sonst noch für einen gesunden Schlaf tun?

Gängige Ratschläge, um Schlafstörungen zu vermeiden, sind: Das Schlafzimmer sollte der ruhigste Raum der Wohnung sein. Die Temperatur auf angenehmen Wert einstellen. Die Temperaturregulation ist bei Querschnittgelähmten oft gestört. Vor dem Zubettgehen lüften.

  • Schlafhygiene: Entweder arbeiten oder schlafen. Nicht im Bett mit dem Smartphone herumspielen, nicht Fernsehen, das Gehirn muss herunterfahren können. Dazu helfen Entspannungstechniken oder entspannende Musik. Licht löschen!
  • Wecker/Uhr verstecken, damit man nicht dauernd nach der Zeit schauen kann.
  • Einen regelmässigen Schlafplan einhalten: jeden Tag etwa zur gleichen Zeit ins Bett gehen und etwa gleich lange schlafen, damit sich die innere Uhr nicht verstellt (wie z.B. bei Jetlag).
  • Vor dem Schlafengehen keine Stimulantien einnehmen, Kaffee, Cola, Grüntee, anregende Medikamente usw. Kein Alkohol und kein Nikotin am Abend. Eventuell Orangenblütentee, Baldriantropfen oder Milch mit Honig trinken.
  • Richtiges Flüssigkeitsmanagement hilft, mehrfaches Katheterisieren in der Nacht zu vermeiden. Die Ausschüttung von ADH (AntiDiuretisches Hormon) ist bei Querschnittgelähmten gestört, nachts wird mehr Urin produziert.
  • Schlafabklärung im Schlaflabor bei Verdacht auf Schlafapnoe-Syndrom und entsprechende Behandlung.
  • Tagsüber dauernd wach bleiben, kein Mittagsschläfchen!
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