75 Jahre Paralympische Spiele

Der 29. Juli 1948 gilt als so etwas wie die Geburtsstunde der Paralympischen Spiele. An diesem Tag fand – zeitgleich mit der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in London – in Stoke Mandeville ein Wettbewerb für Rollstuhlsportler statt.  Stoke Mandeville ist ein Ort mit rund 6.000 Einwohnern in Buckinghamshire, England. Das dortige Hospital ist bekannt für  die erfolgreiche Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen. An dieser Sportveranstaltung nahmen 16 Patienten teil. Der Wettbewerb wurde zu einer jährlichen Veranstaltung, die den Namen Stoke Mandeville Games trug.

Unser Verband (als Verband der Querschnittgelähmten 1957 gegründet) organisierte zahlreiche Entsendungen österreichischer Sportler zu den Stoke Mandeville Games. Dr. Georg Neubauer, Primar im Rehabilitationszentrum Tobelbad legte großen Wert auf die körperliche Fitness der teilnehmenden Sportler. Das ging soweit, dass die Sportler die Reise nach Stoke mit Stützapparaten und Krücken hinter sich bringen mussten, die Rollstühle wurden mit einem anderen Flugzeug transportiert. Die österreichischen Teilnehmer waren trotzdem oder vielleicht gerade deswegen durchaus erfolgreich.

Nostalgische Erinnerung an die Anfänge der sportlichen Wettkämpfe in Stoke Mandeville

Nostalgische Erinnerung an die Anfänge der sportlichen Wettkämpfe in Stoke Mandeville

Die Stoke Mandeville Games wuchsen im Laufe der Jahre und wurden schließlich zu den Paralympischen Spielen, die erstmals 1960 in Rom stattfanden. Die Teilnehmerzahl war auf 400 Querschnittgelähmte aus 22 Nationen angestiegen. Österreichs Sportler fuhren ca. 21 Stunden mit der Bahn nach, hatten aber im Lazarettwaggon die Möglichkeit zu liegen. 23 Sportler aus Österreich errangen 11 Gold-, 7 Silber- und 12 Bronze-Medaillen.

Impressionen der Bahnfahrt nach Rom 1960, links: Hermine Kraft und Heinz Schneider, rechts: Gernot Egger und Felix Lettner

Seither ist es eine schöne Tradition geworden, dass die Paralympics im Anschluss an die Olympischen Spiele der Nichtbehinderten am gleichen Ort stattfinden. Unser Verband organisierte die Beschickung der nächsten acht Paralympics bis 1988. Danach wurden wegen einer Strukturveränderung im ÖBSV die Kompetenzen für den sportlichen Bereich des Rollstuhlsportes vom Verband der Querschnittgelähmten Österreichs an den ÖBSV abgetreten. Österreichs Mannschaftsführer war immer Albert Wöhrer (1925-2014) bei 8 Paralympics von Rom 1960 bis Seoul 1988. Als Sportler nahmen Dr. Rosi Schweizer (1943-1990) und Engelbert Rangger (1928-2017) je sieben Mal teil. Rosi ist dabei mit 16 Goldmedaillen die erfolgreichste österreichische Rollstuhlsportlerin.

Einige Fakten zur Erinnerung:

* 1972: In Heidelberg (Deutschland) nehmen erstmals mehr als 1.000 Sportlerinnen und Sportler teil.
* 1976: In Toronto (Kanada) nehmen an den V. Paralympics erstmals auch Amputierten- bzw. SehbehindertensportlerInnen teil. 1.600 AthletInnen aus 42 Nationen bestreiten die Spiele.
* 1976: Erstmals werden in Örnsköldsvik (Schweden) auch Winterspiele veranstaltet. 250 SkirennläuferInnen aus 14 Nationen kämpfen um Gold.
* 2000: Sydney (Australien) zeigt der ganzen Welt, was in Sachen Organisation und Durchführung von Großveranstaltungen möglich ist. 4.000 SportlerInnen aus 125 Nationen kämpfen vor den Augen von rund 650.000 ZuseherInnen um Paralympisches Gold.
* 2001: Bisher war es nur Tradition, nun gibt es eine Vereinbarung zwischen dem Internationalen Olympischen Comité/IOC und dem Internationalen Paralympischen Committee/IPC, die festlegt, dass die Paralympics immer zwei Wochen nach Abschluss der Olympischen Spiele am selben Veranstaltungsort und an den selben Wettkampfstätten stattfinden. Eine Bewerbung muss für beide Großveranstaltungen gleichzeitig erfolgen.
* 2012: Die Paralympics haben sich, gemessen an den verkauften Tickets, zur drittgrößten Sportveranstaltung der Welt (nach den Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften) entwickelt.
* 2021: Aufgrund des weltweiten Ausbruchs des Covid-19 Virus, wurden die XVI. Sommer-Paralympics 2020 in Tokyo (Japan) um ein Jahr auf 2021 verschoben und fanden vom 24. August bis 5. September 2021 statt.
* 2024: Die XVII. Sommer-Paralympics werden von 28. August bis 8. September 2024 in Paris (Frankreich) stattfinden. Es werden AthletInnen aus 182 Nationen erwartet, die in 22 Sportarten an den Start gehen und in 540 Bewerben um die paralympischen Medaillen kämpfen werden.

Stand in den Anfangsjahren das vielseitige sportliche Training mit all den vielen Möglichkeiten im Vordergrund, so wurde aufgrund der enormen Leistungsentwicklung in den einzelnen Disziplinen eine Spezialisierung notwendig.

Diese Spezialisierung schlug sich vorrangig beim Training  nieder, das sowohl an Umfang als auch an Qualität erhöht wurde und zusätzlich von trainings- und sportwissenschaftlichen Begleituntersuchungen gestützt wurde. So kann man ohne weiteres behaupten, dass sich in den letzten zehn Jahren der Sport für Behinderte hin zum „Hoch“-Leistungssport entwickelt hat – mit all seinen Auswüchsen wie Kommerzialisierung und vereinzelt auch Doping.

Nun blicken wir auf 75 Jahre Paralympische Bewegung zurück, aus kleinen Anfängen hat sich etwas Großes entwickelt und es bleibt zu wünschen, dass diese Spiele mit all ihren Emotionen noch lange weiterbestehen bleiben.

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